im April 2018

Wessen Blick frei geradeaus bleibt und wessen Wahrnehmung des Lebens nicht auf Displays und angepaßten (ja, mit ´ß´) Mainstream beschränkt ist, wird sich immer wieder neu eine eigene Meinung bilden können und müssen.

Echte Demokratie (Macht, Gewalt, Herrschaft des Staatsvolkes) habe ich in der Wende-Zeit 1989-90 in Ost-Deutschland in Form der (im wahrsten Sinne) Bürger-Bewegungen und der späteren „Runden Tische“ erlebt bzw. täglich im DDR-Fernsehen verfolgt (Runder Tisch in Berlin).

Dort saßen wirklich Gegner an einem Tisch (Vertreter des Ministeriums für Staatssicherheit, der Nationalen Volksarmee, von Block-Parteien, SED-Spitzenfunktionäre, Vertreter der Bürgerbewegungen) und mußten sich, unterstützt und kontrolliert von einem von allen akzeptierten Moderator, die Argumente und Forderungen der anderen Seite anhören und dazu Stellung beziehen. Sternstunden der Demokratie, der Volksherrschaft! Die Versammelten schacherten nicht um Ämter und Posten, es gab Wichtigeres, es gab echte Probleme zu lösen – und das schnellstens. Alle wußten um die Verantwortung für den Prozess der Veränderung, die auf ihnen lastete und die Vertreter des alten Regimes wußten zusätzlich das Auge des nun selbstbewußten, freien Volkes in Form einer in schlagartiger Metamorphose aufgewachten, kritischen Presse und der Live-Berichterstattung im Fernsehen auf sich gerichtet. Ich hatte den Eindruck, die Journalisten der untergehenden DDR, vormals allesamt „auf Linie“, also regimekonform, wollten durch ihren Eifer beweisen, daß auch sie alle längst Reformen wollten… Am Runden Tisch gefaßte Beschlüsse wurden sofort umgesetzt, einfach so, ohne wenn und aber. Kein „Aussitzen“ oder ewiges Taktieren in Gremien (diese gab es notwendigerweise auch, aber sie brachten in kurzer Zeit auch Ergebnisse an den Runden Tisch zurück…) – nein: Mißstände wurden klar benannt und sofortige Änderungen eingefordert – und erreicht. Minister der Modrow-Regierung und andere Verantwortliche wurden heranzitiert und ins Kreuzverhör genommen – sie standen Rede und Antwort, einfach so, von sich aus und hatten auch keine Erinnerungslücken, wie manche hohen Funktionäre der SED dann Jahre später in den Gerichtsprozessen, die gegen sie liefen. Die Aufgaben der Runden Tische überall im Land reichten von der Sicherstellung der neuen demokratischen Freiheiten und des respektvollen Miteinanders der verschiedenen politischen Gruppen, über die Sicherung der Stasi-Akten über das eigene Volk (also ihrer Bewahrung vor der Vernichtung, um das Ausmaß des Unrechts später aufarbeiten und Opfer rehabilitieren zu können), drängende Probleme des Umweltschutzes, die Sicherung von „Volksvermögen“ und die Verhinderung des geheimen Abflusses des Vermögens von SED und Stasi (was leider nicht ganz gelang), bis zur geordneten und überwachten Entwaffnung von Kampfgruppen (Paramilitärische Organisation, gegr. als Reaktion auf den Volksaufstand des 17.06.1953, Bewaffnung als mot. Infanterie, Waffenlager bei Volkspolizei und direkt in den Betrieben) und sicheren Verwahrung der Waffen von Bereitschaftspolizei, Armee und Geheimdienst, also der Staatssicherheit. DIESE Grafik zeigt, wie viele Menschen das System Sozialistische DDR unter Waffen hatte und es ist eben kein Wunder, daß die Revolution friedlich blieb, kein Schuß fiel, sondern das ist der Courage und dem Mut jedes Einzelnen zu verdanken, der Zugang zu Waffen hatte, diese aber nicht zum Machterhalt der SED-Bonzen auf eigene Nachbarn und Verwandte richtete. Das Volk, vertreten durch verschiedene Bürgerbewegungen und neue Parteien, rechnete an den Runden Tischen absolut friedlich mit der (sogar noch) herrschenden Clique ab und bestimmte, was wann und wie zu geschehen hatte. Täglich eine recht unangenehme Sache für die Vertreter der ehemals allmächtigen, aber nun untergehenden sozialistischen Staatsmacht der SED … Der Wille der Mehrheit des Volkes wurde über seine Vertreter, die neuen Parteien und Bürgerbewegungen, direkt an die Exekutive, die plötzlich wirklich dem Volk und nicht mehr der „Einheitspartei“ unterstand, mit der Vorgabe sofortiger Umsetzung (sic!) weitergeleitet. Nur durch diese absolut demokratische Form der Machtausübung konnte der friedliche Übergang aus einer Diktatur in die Demokratie geschafft werden.

Kein vorauseilender Gehorsam mehr (wem gegenüber auch?), keine Denk-Tabus, sondern sich vor aller Augen duckende Karrieristen ohne Macht, die für ihre Taten und opportunistisch-egoistischen Lebensläufe am Pranger standen (und endlich, nicht ohne innere Genugtuung, vom Puplikum innerlich verspottet werden konnten), Behörden, welche plötzlich den Bürgern dienen und für ihr Tun, oder ihre Unterlassungen Rechenschaft ablegen mußten usw … – ja, so war das damals, die Freiheit und der normale Menschenverstand hatten gesiegt – ein herrliches Gefühl und eine großartige Zeit der inneren und äußeren Freiheit.

Stellen Sie sich diese Freiheit (heute) einmal vor…

 

Jedenfalls für einige Monate, denn der nächste wohlorganisierte Verwaltungskrake tastete sich schon heran, gut angepaßt (um nicht zu schreiben: getarnt) und wachte in der Folgezeit umsichtig darüber, daß nichts in wirklich neue Bahnen lief.

Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Es gab auch meiner Meinung nach in der Kürze der Zeit, die genutzt werden mußte – zum Einen, weil die Menschen einfach unter Aufbringung allen Mutes in Massen in den Westen gingen, um einen Neuanfang in Freiheit zu wagen, zum Anderen, weil niemand ernsthaft annehmen konnte, daß die Haltung der Briten oder Russen ewig eine derart wenn auch bremsend, doch jedenfalls nicht verhindernde bleiben würde – eben unter Berücksichtigung aller Interessen der aus allen Richtungen argwöhnisch bis sogar ablehnend äugenden Nachbarstaaten keine Alternative, das Land einfach zu einer größeren BRD, in der NATO verankert (die waffenstarrenden, sich ausgerechnet in Deutschland unmittelbar gegenüberstehenden Militärblöcke mit ihrer Gefahr und Macht läßt man im heutigem Rückblick gern einmal außer Acht) umzubauen. Ein Staatsmodell, an das sich alle Nachbarn in Ost und West gewöhnt hatten, das verläßlich, stabil und äußerst erfolgreich war!

Damals habe ich keine linken oder rechten Extremisten auf der Straße gesehen, es gab sie sicher auch, aber sie wußten wohl, wo sie hingehören – in ihr Kinder-, Jugend- oder das Wohnzimmer ihrer Eltern. Die Jugend war wohl insgesamt auch weniger anfällig für solche Dummheiten als heute. Sie, die Jugend, sah auch noch mehr reale Welt, als glitzernde Ersatzwelten. Und sie sah in eine Zukunft voller Freiheit.

Und wir brauchen wieder freien, investigativen Journalismus …

K. Weiße

 

Nachtrag vom 9.10.2018:

Bei einer öffentlichen Anhörung im Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages gab es gestern – im Gegensatz zu den erwähnten Runden Tischen – dermaßen einengende zeitliche Regelungen zur Redezeit, daß ich das Gefühl bekam, dadurch sollte ein wirklicher Austausch, oder gar eine Annäherung der Meinungen der Anwesenden unmöglich gemacht werden. WER bestimmt denn bitte und warum, wer wie lang zum Austausch von Argumenten zusammen sitzen darf und soll? Und das gerade an der Schnittstelle der Bürger zum Parlament? Wieso haben die Damen und Herren Abgeordneten und Vertreter der Ministerien so wenig Zeit, sich mit den Petitenten sachlich und weiterführend zu besprechen – schließlich werden sie vom Volk unter anderem auch dafür bezahlt? Befremdlich, in welchem „Schnellverfahren“ an diesem Ort verfahren wird. Ich meine, die Abgeordneten können sich gern ihre Mittagspause derart einschränken wenn sie wollen, aber doch niemals die Zeit, in der Bürger mit ihnen konkret über politische Probleme sprechen, in dem Fall debattieren. Oder liege ich da falsch? …

 

  • wikipedia.org/wiki/Runder_Tisch
  • oder, wenn Sie einmal eine wirklich mitreißende Politikerrede sehen wollen: https://www.focus.de/finanzen/videos/guy-verhofstadt-im-wortlaut-diese-emotionale-rede-versetzt-das-ganze-eu-parlament-in-aufruhr_id_4805930.html